Donnerstag, 6. Dezember 2007
Entscheidung
die letzten Tage waren ein hektisches Rennen, angefüllt mit Terminen und Gesprächen, einem dauernden dingdong von Outlook, ewigem Telefongebimmel und größeren Mengen von noch immer nicht erledigten Kleinigkeiten.

Dafür habe ich Größerigkeiten entschieden und in der Gesellschafterversammlung gestern endlich öffentlich klargestellt, dass auf Dauer mit mir nicht mehr zu rechnen ist, dass ich zum Sommer hin endgültig aussteigen werde, dass ich den Posten als Zweitgeschäftsführer deshalb nicht annehme, dass ich aber meine Geschäftsanteile behalte und hoffe, dass der Laden auch weiter so viel Überschuss macht, dass ich auch ohne mitzuarbeiten davon profitieren kann, damit ich im Sommer genau die Halbtagsstelle annehmen kann, die ich mir wünsche, obwohl ich woanders deutlich mehr verdienen könnte.
Kadong! - es folgte betroffenes Schweigen mit anschließend deutlich bekundetem Verständnis.
Ja, alle können es verstehen, jeder wundert sich überhaupt, weshalb ich bisher durchgehalten habe und keiner ist mir böse. Im Gegenteil, ich habe die Zusicherung des Geschäftsführers, dass ich mich auf seine Unterstützung verlassen kann, er wird dafür sorgen, dass ich einen Mindestbetrag über Einzelabrechnung bekomme und so habe ich nun erfolgreich den Schritt getan, vor dem ich mich seit Wochen fürchtete.

Aber es fühlt sich gut an. Befreit und gleichzeitig zuversichtlich blicke ich nach vorne.
Es bewegt sich etwas. ICH habe etwas bewegt und es wird weitergehen.
Was auch immer passiert, wirklich abstürzen kann ich gar nicht.
Vielleicht klappt nicht alles so, wie ich es mir wünsche, aber noch habe ich tiefstes Vertrauen, dass alles gut wird.
Und ich werde es weiter voran treiben, das erste Mal in meinem Leben werde ich für meine eigenen Interessen kämpfen, ich werde nicht aufgeben und ich werde nicht weglaufen.

Die schwierigste Stelle, meinen eigenen Stolz, den habe ich schon überwunden. Ich habe zugegeben, dass ich Hilfe brauche, dass ich vieles nicht alleine regeln kann, dass ich auf Unterstützung von Menschen angewiesen bin, die ich verlassen werde.

Und es geht. Da werde ich auch den Rest des Lebens in Griff kriegen, so oder so. Denn so tief fallen wie das Loch war, aus dem ich komme, kann ich gar nicht mehr. Was auch immer passieren wird, die erste Ebene habe ich schon mal gesichert und damit einen Großteil meiner Ängste besiegt.

Jetzt muss ich das erstmal sacken lassen - und nächstes Jahr gehe ich dann den zweiten Teil an.

Punkt
.
(Abgelegt in so bin ich und bisher 644 x angeklickt)

... ¿hierzu was sagen?

 
Hm, ich verstehe das wahrscheinlich alles nur zu einem geringen Teil, aber es klingt ganz so, als wären Sie unterwegs, so zu sich selbst und so. Das ist ja gut!

... ¿noch mehr sagen?  

 
ja, so kann man das sagen.
Ich bin lange Zeit ziemlich orientierungslos in der Gegend rumgeeiert, aber so nach und nach weiß ich sehr genau wo ich hin will - und bewege mich nun Schritt für Schritt in diese Richtung.
Und es fühlt sich gut an, ja, es gibt nicht nur Schwung, sondern auch immer wieder die Bestätigung, dass es richtig ist und auch positiv weiterläuft.

 
Aha, ja, also mich würde das mal interessieren: wie haben Sie das denn herausgekriegt, was Sie wollen und wo Sie hinwollen? Ich grübel und grübel und ich komme zu keinem Ergebnis, also jetzt für mich, wo ich hinwill und so. Deshalb frage ich mal so...

 
ohhhhh
das ist eine lange Geschichte.
Im Grunde habe ich mich erst mal lange Zeit, viele Jahre schon, wenn ich es genau betrachte, immer mehr hängen lassen und rutschte so nach und nach in eine tiefe Depression.
Dabei bin ich prinzipiell eigentlich ein sehr positiver Mensch, ich habe gerne gute Laune und finde alles toll, was lustig ist.
Doch irgendwann fand ich mein Leben nicht mehr lustig. Ich hatte mich verlaufen, wollte es aber um keinen Preis der Welt zugeben. Ich hatte nämlich alles: genug Geld, tolle Kinder, einen gutbezahlten Job und einen phantastischen Mann, der mich zweifelsfrei liebte - wie komme ausgerechnet ich dazu, mich zu beklagen?
Außerdem mache ich keine Fehler - das ist nämlich auch eine meiner positiven Eigenschaften....
Und so habe ich mein Leben/meinen Zustand verteidigt.
Da ich rational/verbal sehr gut argumentieren kann, habe ich es nicht nur geschafft, alle anderen, sondern auch mich zu überzeugen, dass alles in Ordnung ist. Im Gegenteil, ich wurde regelmäßig bewundert für das, was ich so schaffe.
Vielleicht ab und an mal eine kleine Störung, aber das geht vorbei, alles eine Frage der Zeit, midlifecrisis, Hormone, was weiß ich, das sitze ich doch locker aus.
Nur irgendwann war der Punkt erreicht, wo ich merkte, es geht wirklich nicht mehr. Wenn ich bei jeder kleinsten Kleinigkeit anfange zu heulen, wenn ich grund- und sinnlos hysterisch werde und mich nicht mehr beherrschen kann, vor lauter Verzweiflung nur noch um mich schlage - dann ist was faul.
Selbst ich, die das nie wahr haben wollte, bemerkte irgendwann, dass es so nicht mehr weitergeht.
Meine erste Reaktion war "Ausmisten" - weg, mit allem, was mich stört. Über ein halbes Jahr lang habe ich weggeworfen, tonnenweise (weil, ähem, wir haben hier viel Platz und es gab wahrlich genug zum wegwerfen).
Ich wurde Sperrmüllexperte und räumte die Bude um, dass es nur so krachte. Als ich eine prinzipielle Grundordnung geschaffen hatte, kam ich an eine Stelle, wo ich selbständig nicht mehr weiterkonnte, also habe ich an anderen Stellen meines Lebens ausgemistet. Hobbys, Menschen und Gewohnheiten wurden radikal entsorgt.
Es ging mir aber immer noch nicht besser. Ich verbrachte im Schnitt noch immer ca. 3h täglich mit Heulen und wusste nur, was ich alles nicht will.
Was ich dagegen positiv wirklich will, das war mir schleierhaft.
Dann traf ich einen alten Freund von früher wieder, der völlig entsetzt war, als er bemerkte, wie sehr ich abgestürzt war. Er rückte mir den Kopf grade und ich begriff, ich muss mich endlich um mich kümmern.
Im ersten Schritt habe ich mir dann neue Leute gesucht. Wildfremde, die mir vorurteilsfrei begegneten.
Die sich nicht von dem glänzenden Schein von außen blenden ließen, weil sie ihn nicht kannten.
Die mich nicht mit Samthandschuhen anfassten und die kein "seltsames Benehmen" verziehen, sondern Menschen, die mich nur deshalb nett fanden, weil ich fröhlich war.
Stundenweise mit wildfremden Menschen fröhlich zu sein klappte ganz gut. Und je besser es klappte, um so mehr Spaß machte es.
Ich begann zu experimentieren, mal diese Rolle, mal jene. Nach und nach trudelten die Erfolgserlebnisse ein. Wildfremde Menschen fanden mich auch dann gut, wenn ich Dinge machte, die jenseits meines bisherigen Rollenklischees lagen. Ich wurde für Fähigkeiten gelobt, die ich längst für selbstverständlich hielt, weil sie in meinem bisherigen Leben als selbstverständlich galten.
Und ich lernte den Menschen kennen, der mir mehr als alle anderen zuvor das Gefühl gab, tatsächlich etwas Besonderes zu sein.
Dann starb unser Hund und mir wurde plötzlich klar, dass sich auch innerhalb der Familie das Leben begann zu verschieben.
Wir waren gar nicht mehr die Traumfamilie nach außen. "Ferien auf Saltkrokan" - Vater, Mutter, Kinder und ein großer Hund, alle glücklich, alle sorgenfrei. Pustekuchen. Klischee kaputt, so ein Hund, insbesondere wenn es ein wirklich großer ist, hat schon eine entscheidende Rolle.
Ich begann, mich immer mehr aus der Familie herauszuziehen, was zum Glück grade einfach war, da Sommerferien auf der Insel eh ein "Ausnahmezustand" sind und die Kinder deutlich weniger Betreuung brauchten als im Schulalltag.
Den Mann schickte ich aufs Festland - und hatte so Zeit, endlich mal nur "ich" zu sein.
Schon nach kurzer Zeit merkte ich, wie gut mir das tat.
Meine körperlichen Probleme waren wie weggeblasen (bis zu den Ferien hatte ich ganz massive Arthritisprobleme, die plötzlich komplett verschwunden waren, wie ausgeknipst), und so genoss ich diese Zeit und sammelte einfach Ruhe und Kraft. Drei Wochen ohne Heulen und Schmerzen - und es ging mir so gut, dass ich endlich auch die seit Jahren fällige Auseinandersetzung mit meinem Mann angehen konnte.
Nach und nach tauchten dann (anfangs noch verschwommene) Wunschvorstellungen auf, wie das Leben alternativ laufen könnte.
Ich setzte meine "Experimente" fort und sammelte weiter Erfolgserlebnisse. Ich lernte, dass ich selber eine Menge bewegen kann, ich muss nur den Mut dazu haben und es positiv angehen. Ich habe große Teile meiner bisherigen Aggressivität abgelegt und versucht, wieder in allen Dingen und Menschen etwas positives zu sehen.
Ich lernte, dass es außer dem Leben, was ich bisher führte, auch ein anderes Leben geben könnte, was ich bisher immer abgelehnt hatte, weil ich nie den Mut aufbrachte, es auszuprobieren.
Ich lernte, dass die Rolle, die ich seit Jahren nach außen spielte, auch nur eine Rolle ist und sie mir heute einfach nicht mehr passt.
Ich lernte, dass viele Dinge, von denen ich annahm, dass sie mir wichtig sind, mir in Wirklichkeit doch gar nicht wichtig sind, sondern viel angenehmer gegen andere ersetzt werden können, die ich bisher aber pauschal abgelehnt hatte.
Und ich lernte, dass ich mich jahrelang von einem Mann abhängig gemacht habe, der, obwohl es unbestritten ein toller Mann ist und er mich auch ganz sicher liebt, letzten Endes doch der falsche für mich ist.
Ich lernte einfach hinzuschauen und andere Lebenseinstellungen objektiv zu hinterfragen, statt sie pauschal abzulehnen.
Und genau dadurch sind Stück für Stück Wünsche entstanden. Zunächst, der Wunsch verschiedenes wenigstens auszuprobieren, weil ich mich endlich frei fühlte und nicht mehr das Gefühl hatte, ich müsste meinen eigenen, aber halt trotzdem fremd gesteuerten Ansprüchen genügen, da ich mich von dem bisherigen Klischee, das ich meinte, erfüllen zu müssen, befreit hatte. Damit hatte ich auch den Mut, Dinge anzugehen, die ich sonst glattemang als falsch oder unzumutbar bezeichnet hätte. Und erstaunt stellte ich fest, das macht Spaß. Und so begann der positive Kreislauf, der bis heute anhält und der mir heute den Mut gibt, große Teile dessen, was ich längst erreicht habe, wieder wegzuwerfen und einfach neu anzufangen.
Geheult habe ich in den letzten Monaten sehr, sehr wenig und wenn, dann weil ich plötzlich Angst vor meiner eigenen Traute bekam, das verging aber sehr schnell wieder und ich habe mich aufgerafft, um mit Schwung weiterzumachen.
Ich weiß, dass ich noch einen weiten Weg zu gehen habe, aber die erste Strecke habe ich schon hinter mir und je weiter ich gehe, umso zuversichtlicher werde ich und umso mehr Kraft spüre ich, auch den Rest zu erreichen. Ich habe endlich wieder ein Ziel.

Ich denke, der wahre Schlüssel zum Erfolg lag darin, dass ich plötzlich bereit war, nur noch die positiven Dinge sehen zu wollen und die negativen regelmäßig bewusst ausgeblendet habe, statt mich, wie früher, davon soweit herunterreißen zu lassen, dass sie meine gesamte Energie fressen konnten und ich deprimiert und heulend in der Ecke saß.
Natürich passieren noch immer negative Dinge, natürlich klappt längst nicht alles so, wie ich mir das wünsche, natürlich sind noch viele Fesseln meines alten Lebens immer weiter da, aber einiges, oder sogar vieles funktioniert und das gibt mir die Zuversicht, dass sich auch der Rest ändern wird.

 
Liebe Frau Lachkatze,

Vieles kann ich sehr gut verstehen, muß nur noch ein paar Gedanken + Gefühle sortieren,weil mich einiges sehr angesprochen hat ...
Wünsche Ihnen weiterhin viel Kraft, Ihren Weg weiter zu gehen, denn Ihr Bauch scheint den richtigen Riecher zu haben, so dass die Augen geschont werden können. Das gibt auch immer nur dicke Säcke ...
Liebe Grüße !!!

 
Klingt doch alles sehr positiv. Dann drücke ich mal die Daumen, dass Teil Zwei ebenso verläuft!

... ¿noch mehr sagen?  

 
da drücke ich mit - denn vieles bei Teil Zwei hängt nicht nur von mir ab, aber ich bin einfach zuversichtlich, dass es alles so klappt, wie ich mir das wünsche