Samstag, 14. Juni 2008
Umzug
In genau zwei Wochen ist es soweit: Dann fahren wir genau um diese Zeit grade mit dem großen Laster und allen Kindern Richtung Münsterland - denn dort werde ich mein künftiges Alltagsleben leben.
(Mein Zweit- oder Sonntagsleben bleibt natürlich weiter auf meiner Insel, aber Alltag ist ja auch nicht ganz unwichtig.)

Vieles wird sich ändern, um nicht zu sagen alles: Statt abgedrehtem Exklusivwohnen in einem Riesenloft, endlich leben in einem Reihenhaus.
Statt freiberufliches Arbeiten für die unterschiedlichsten Auftraggeber und damit selbstzudisziplinierendes Arbeiten zu den unterschiedlichsten Zeiten und mit den unterschiedlichsten Schwerpunkten nur noch Arbeiten als Angestellte mit festen Zeiten und auch das noch für einen "öffentlichen Dienstherrn".
Statt heiles Familienleben mit Vater, Mutter, Kindern, nur noch Mutter mit Kindern und Vater als Besuchspendler, dafür ein neuer Mensch in meinem Leben, der hoffentlich bald mehr als nur zu Besuch kommt.
Statt 500qm Wohnfläche angefüllt mit 57.348 Dingen, die man nicht zwingend braucht zum Leben, nur noch Reihenhauswohnfläche mit ausgesucht wenigen Dingen, die ich gerne um mich habe. (und okay - "wenig" ist hier eine Frage des benchmarks, aber für mich wird es wenig sein.)
Statt tägliche Haushaltshilfe komplett alles selber putzen.
Statt große Stadt endlich wieder ländliches Kleinbürgertum.
Statt asphaltiertem Parkplatz wieder ein Garten. (Sogar zwei, vorne und hinten).
Statt Mäuse und Ratten nur noch Mücken.
Statt kreativem Loftklima (sprich 16°C im Winter, dafür 35°C im Sommer) endlich gleichmäßig temperierte Räume mit Fußbodenheizung und Isolierung gegen Hitze.
Statt offenem Wohnen für alle, endlich wieder verschließbare Türen.
Statt 40qm Küche (und mit null Diätproblem, weil man sich beim Kochen ja schon vorab alle Kalorien wieder abgelaufen hatte), endlich eine kleine, kuschelig überschaubare Kompaktküche auf unter 10qm.
Statt großem "Tanz- und Musiksaal" wieder ein normales Wohnzimmer mit Essecke, Sofa, Fernseher und Klavier, (der Flügel passt natürlich rein, sonst wäre es nicht gegangen....)
Statt 10.000 Büchern nur noch rund 500.
Statt von oben belichtetes Bastelstudio auf 70qm nur noch ein kleiner Einpack- und Bücherbinderaum im Keller.
Und das Beste: Statt 320km nur noch 200km nach Borkum.

Die Kinder müssen sich zwar umstellen, die waren hier gar nicht so unzufrieden, die müssen sich in eine neue Gemeinschaft einfinden, neue Schule, neue Freunde, neue Regeln und vor allem viel mehr Hausarbeit für alle (da ich nicht vorhabe, die bisherige, tägliche Haushaltshilfe komplett alleine zu ersetzen), aber wenn überhaupt, dann war es jetzt der ideale Zeitpunkt.
Zwei Tage nach dem letzten Schultag ziehen wir um, so dass wir sechs Wochen Sommerferien haben, um uns neu einzuleben. Der Mini wechselt sowieso auf eine neue Schule (und freut sich schon wie ein Schneekönig auf das neue Gymnasium, das erste Mal, dass er von sich aus motiviert verkündet, er will gerne zur Schule gehen und hat sich sogar freiwillig für die bilinguale Klasse beworben, obwohl er weiß, dass er dort mehr Unterricht und auch mehr Hausaufgaben haben wird.), die Mittlere trägt es mit der ihr angeborenen Fassung, sie kommt dann in die 10. Klasse, hat so aber noch Zeit, sich wenigstens ein Jahr vor der Oberstufe noch mal in einer richtigen Klasse einzufügen und der Große wartet immer noch auf den Bescheid aus Peking - er möchte ja eigentlich ein Jahr nach China gehen.
Er ist der einzige, der noch nicht genau weiß, wie es für ihn weitergeht. Wenn das mit China klappt, dann kann er dieses Problem auch locker ein Jahr vertagen, ansonsten geht er jetzt halt mit und muss mal schauen, was er alternativ in der 11. Klasse tun kann (denn er hat die Springerqualifikation mitsamt Beurlaubung schon in der Tasche und könnte dieses Jahr deshalb auslassen.) Hier warten wir einfach noch weiter geduldig ab, erst Anfang Juli gibt es Bescheid aus Peking und dann sehen wir, was er machen wird.

Ich fange meinen neuen Job erst zum 1.9. an, so dass ich bis dahin genug Zeit habe, das neue Haus einzuräumen und -richten, den Kindern zu helfen, sich in ihrer neuen Umgebung zurechtzufinden und mit ein bisschen Glück sind auch noch drei Wochen Borkum für alle drin.

Im Moment packe ich hier dauernd Kartons und pendele zwischen den Welten. (hier und dort und arbeiten muss ich auch noch), aber es geht voran und je realer es wird, umso zuversichtlicher werde ich, dass alles klappt.
Da ich den allergrößten Teil der Gegenstände in diesem Haus einfach hier lasse, ist das Packen natürlich etwas kompliziert, denn ich muss mir genau überlegen, was ich noch brauche und mitnehmen möchte und was eben nicht.
Aber der Küchenkram ist schon zum allergrößten Teil fertig, die neue Küche steht schon und gestern habe ich auch alles eingeräumt. Das ist eine enorme Beruhigung, denn wenn die Küche funktioniert, dann klappt auch der Rest des Lebens...
Nächste Woche wird noch das Schlafzimmer fertig aufgebaut, Bett und Schränke sind schon da (weil, das alte bleibt hier, hoch lebe ebay und Ikea...), Waschmaschine und Trockner stehen auch schon im Keller, Sofa, Fernseher und Esstisch mit Stühlen sind ebenfalls bereits neugekauft und stehen im Haus, - im Grunde kann also wirklich kaum noch etwas schiefgehen.

Und ich freu mich. Ich freue mich so sehr, dass ich trotz der körperlichen Erschöpfung unentwegt tanzen und hüpfen könnte. Es wird sooo schön dort, und vor allem endlich soooo normal. Ich fass es manchmal nicht, dass ich es tatsächlich geschafft habe, wieder zurück auf den Boden zu finden, von dem ich vor so langer Zeit mal abgehoben bin, mich seitdem aber niemals mehr richtig "geerdet" gefühlt habe.

Hallo Leben - ich komme.

Punkt
.

Nein, besser:
Ausrufzeichen
!
!
(Abgelegt in so oder so ist das Leben und bisher 712 x angeklickt)

... ¿hierzu was sagen?

 
Klingt doch sehr interessant.

... ¿noch mehr sagen?  

 
Interessant
ist jetzt wiederum ein witziges Attribut, denn der bisherige Mann in meinem Leben ist der festen Überzeugung, dass ich mich dort in Windeseile todlangweilen werde.
Ich selber würde es wohl am ehesten als "entspannend" bezeichnen.
Ich habe das erste Mal seit sehr langer Zeit das Gefühl, dass ich endlich weiß, was ich wirklich will und das setze ich jetzt grade um. Für mich fühlt es sich ein wenig an wie "angekommen" - und je mehr das ganze Formen annimmt und zur Realität wird, umso mehr fühle ich mich dort auch schon "zu Hause".
"Zu Hause" ist für mich der Ort, an den ich mich zurückziehe, wenn ich von "draußen" genug habe. Dort gibt es keinen Leistungsdruck mehr, keinen Stress und kein "den Ansprüchen genügen müssen." Dort muss ich keine Rolle mehr spielen, nicht mehr glänzen und glitzern, nicht mehr schick, erfolgreich, souverän und besonders sein, sondern "zu Hause" ist mein ganz eigenes, privates Reich, was niemand anderem gefallen muss außer nur mir.
Das hört sich jetzt so selbstverständlich an - war es für mich aber lange Zeit nicht, denn die letzten Jahre habe ich halt in einer Umgebung gelebt, die (für mein Gefühl) überwiegend darauf ausgerichtet war, andere zu beeindrucken. Wir hatten sehr viel Besuch und fast jeder, der das erste Mal hier reinkam, sagte natürlich "Wow, das ist ja toll." Kein Wunder, so ein Loft wirkt ja auch extrem außergewöhnlich und unserer war noch mal extra anders, weil hier auch noch so viele Dinge standen, die ansonsten kaum einer hat.
Und natürlich ist es klasse, ständig von anderen bewundert zu werden und natürlich poliert das das Ego gewaltig - aber ich mag nicht mehr. Ich weiß jetzt, dass ich es theoretisch kann, dass ich es aber praktisch nicht mehr leben will.

Und deshalb finde ich es jetzt einfach nur entspannend, das alles hinter mir zu lassen.
"Interessant" hört sich ja schon fast wieder nach "Experiment" an. Ich hoffe sehr, dass es kein Experiment sein wird, bei dem ich nach einiger Zeit feststelle, dass es das jetzt doch auch nicht ist, sondern ich habe das ganz sichere Gefühl, dass ich endlich einen Weg nur für mich gefunden habe. Nicht mehr ausgerichtet an einem anderen, der die Richtung vorgibt und dem ich gerne folgen möchte, sondern einen Weg, den ich mir ganz alleine gesucht habe und der nur meinen Ansprüchen genügen muss und bei dem ich mich eben nicht mehr ständig nach der Decke strecken muss, sondern entspannt mit einer angemessenen Reisegeschwindigkeit auf der rechten Spur vorankomme.
Letztes Jahr sagte mir mal jemand: "Du lebst dein Leben komplett auf der Überholspur." - Das gab mir sehr zu denken und als ich begriff, wie Recht er hat, habe ich aber auch bemerkt, wie anstrengend das ist und wie erschöpft ich bereits war.
Und deshalb betrachte ich das neue Leben nicht als "interessant", sondern eben wirklich nur als "entspannend" - und hoffe sehr, dass ich nicht anfangen werde, mich zu langweilen. Dann kann ich ja immer noch mal einen einzelnen Laster überholen, aber den Dauerkick des Rasens um jeden Preis - den brauche ich nicht mehr.

 
Letztes Jahr sagte mir mal jemand: "Du lebst dein Leben komplett auf der Überholspur." - Das gab mir sehr zu denken und als ich begriff, wie Recht er hat, habe ich aber auch bemerkt, wie anstrengend das ist und wie erschöpft ich bereits war.

.....manchmal muss man eine Kerze eben an beiden Enden anzünden....

 
Schöner Vergleich,
ich habe aber jetzt beide Seiten ausgepustet, den weichen Wachs zusammengeknetet und nun brennt es als Teelicht, was mir für die nächsten 30 Jahre völlig genügt.

 
Mag sein, dass mein Teelichtdasein noch nicht gekommen ist und ich da noch mit dem Schädel gegen diverse Wände rennen muss, aber bisher versuch ich es mit Neil Young zu halten. Der hatte mal ein gutes Lied, in dem kam folgende Zeile vor:

It is better to burn out, than it is to fade away...

Aber insgesamt scheinen Sie mir grade das Neilyoungsche Lebensmotto zu beherzigen. Der sagt nämlich, er versuche so zu leben, dass er auf der Autobahn des Lebens immer mal wieder scharf rechts auf den Feldweg abbiege und das sei zwar ziemlich holprig, aber ohnehin viel interessanter. Ihr Vorgarten zumindest sieht schon mal reichlich nach Feldweg aus. In diesem Sinne: Viel Spaß und Erfolg.